An der Symbolik der Schlange scheiden sich die Geister. Im antiken Griechenland hatte sie die Form einer Natter – und die war den Griechen heilig. Ihre Häutung war das äußere Zeichen einer ständigen Erneuerung. Sie war auch das Symbol für Asklepios, dem Gott der Heilkunst. Als Beherrscher aller magischen Heilkräfte gelang es ihm sogar, Tote wieder zum Leben zu erwecken. Dank des Blutes der Gorgone Medusa, das ihm Athene, die Göttin der Weisheit einst brachte. Womit Asklepios seine göttlichen Befugnisse überschritten hatte – denn mit seiner Hilfe könnte der Mensch Unsterblichkeit erreichen. Was Göttervater Zeus und seinem dadurch arbeitslosen Bruder Hades nicht ins Konzept passte. Weshalb Zeus seinen Götterkollegen samt Schlange mit einem tödlichen Blitz kurzerhand aus dem Götterhimmel eliminierte. Seine Natter blieb uns jedenfalls positiv in Erinnerung – sein Äskulap-Stab wurde zum Apothekenzeichen.
Die böse Kobra
Auch die altägyptische Mythologie hatte ihre Schlange – aber mit negativen Vorzeichen. Der Schlangengott Apophis mit seiner grünen, Gift speienden Kobra galt als Widersacher des Sonnengottes Ra. Jener Schöpfergott, der die Sonnenscheibe auf seinem Falkenkopf balanciert. Bei den Ägyptern stand die Schlange als Symbol für Zerstörung, Chaos und Finsternis. Sie musste jeden Tag von Ra auf’s Neue besiegt werden, damit die Sonne uns wieder das helle Bewusstsein des Tages beschert.
Möglicherweise hat sich das schlechte Image der Schlange durch die berühmte babylonische Gefangenschaft auch in die jüdische Schöpfungsgeschichte eingeschlichen. Im Buch Genesis verflucht der Gott der Israeliten die listige Schlange, weil diese Adam und Eva zum argen Biss in den Apfel verleitet habe. Deren Verstoß gegen ein göttliches Gebot wurde als erster Sündenfall der Menschheit eine der populärsten Mythen der Welt.
Adam, Eva und die Sünde
Die frühen Judenchristen sahen keine Notwendigkeit, die Entstehung der Welt neu zu erfinden. Sie übernahmen einfach die biblischen Bücher und zimmerten sich um diese ihre neue Religion. In dem Buch „Adam, Eva und die Theologie der Sünde“ zeigte die amerikanische Religionsgeschichtlerin Elaine Pagels bereits 1991, wie die Schlange schon in frühchristlicher Zeit zum Symbol des Teufels wurde. Sie dient seither als Sinnbild der Versuchung und der Verführung zum Bösen. Sie wurde zum Gegenpol von Jesus, der neuen Lichtgestalt.
Für den belgischen Künstler Ian Fabre hat die Schlange daher eine doppeldeutige Symbolik. Seine Schlange schlängelt sich unschuldig weiß und ohne Natterkopf am Kreuz hinauf. Sie hat sich bis zum Skelett gehäutet und sich aller übler Attribute entledigt. An einem grünen, belaubten Kreuz – nicht an jenem harten Holzkreuz, an dem Jesus sein Leben aushauchte. Dieses belaubte Kreuz wurde so zum Symbol jener Wiedergeburt, wie sie möglicherweise einst von Jesus gelehrt wurde. Jene, die der alten, dunklen Schlange folgen, ihrer Versuchung erliegen, werden nie aus den Klauen eines jenseitigen Gottes – dem der Finsternis – befreit. Sie folgen den niedrigen, erdgebundenen Kräften. Sie sind nach den Worten Jesus schon bei lebendigen Leibe tot.
Nur durch stetes positives Handeln – ähnlich der Häutung der Schlange in der griechischen Mythologie – kann der Mensch Freiheit durch Selbstbestimmung erlangen. Nur so erreicht er schon im Diesseits die Freiheit von jeder möglichen Fremdbestimmung – sei es durch Gott oder Gesetz, die Natur oder die eigenen vergangenen Handlungen. Für die, die der Schlange folgen, gibt es auch keine Auferstehung. Denn Jesus predigt keine Auferstehung toter Knochen, sondern eine Wiedergeburt im Geiste. Die findet nicht erst im Jenseits, sondern schon hier in diesem Leben statt. Bestünde der Sinn des Lebens nur im Jenseits – dann würde das dem Leben jeden Sinn nehmen.
Wer dazu Näheres lesen will, sollte sich das bald im Ibera-Verlag erscheinende JESUS FAKE vormerken. Eine neue Evangelienharmonie, die ohne biblische Schöpfungsgeschichte und ohne Sündenfall auskommt. In der Jesus daher auch nicht in der Wüste durch Luzifer – oder irgend eine Schlange – in Versuchung geführt wird. Ein Buch, das zeigt, was Jesus unter Freiheit und Selbstbestimmung gemeint haben könnte.