PUTIN und der Engel von Kiew

Präsident Putin
  1. 18. Februar 2022: Alle Welt schaut nach Peking, die Olympischen Spiele gehen dem Ende zu. Dass in der Ostukraine die heftigsten Kämpfe seit 2015 toben, bleibt in der Weltöffentlichkeit eher unbeachtet. Auch die Tatsache, dass die Staatsduma in Moskau erklärt, die selbsternannten Volksrepubliken Lugansk und Donezk offiziell anzuerkennen. Aufhorchen lässt jedoch, dass Russland gemeinsam mit Belarus genau an dieser Grenze seine Militärmanöver – nun unter besonderer Aufsicht von Präsident Wladimir Putin – fortsetzen wird.
Olympische Abschlussfeier

In Kiew schrillen die Alarmsirenen. Präsident Wolodymyr Selenskyj ruft seinen Stab zusammen: Andrij Jermak, Filmproduzent und seit des Präsidenten Wahlsieg nunmehr dessen Büroleiter. Michailo Podoljak, einst Medizinstudent, nunmehr kremlkritischer Journalist und Experte für Krisenkommunikation. Olexji Resnikow, einst erfolgreicher Organisator des Songcontest in Kiew, nunmehr Verteidigungsminister. Und Iryna Weretschuk, die Einzige mit mehrjähriger Militärerfahrung in der ukrainischen Armee, nunmehr Vizepremier und Ministerin für die Wiedereingliederung besetzter Gebiete.

Doch kein Militärmanöver!

Präsident Selenskyj

Am 20. Februar gehen die Spiele in Peking feierlich zu Ende. US-Präsident Biden hat klargestellt: Ein Einmarsch in der Ukraine werde ernsthafte Konsequenzen haben. Was wird Russland nun machen? Gibt es Krieg? Waren die von Putin gestellten Ultimaten – westliche Sicherheitsgarantien und ein Verzicht der NATO auf Osterweiterung – nur ein Bluff? Am 24. Februar war es klar: Putin hat nicht geblufft. Russische Truppen marschieren in Richtung Kiew. Das Militärmanöver hat sich als Truppenaufmarsch entpuppt. Mit 130.000 Mann eine seit dem 2. Weltkrieg in Europa nicht mehr erlebte Truppenkonzentration.

Filmproduzent Andrij Jermak

Selenskyj und seinem Beraterteam ist klar: Putins Ziel ist ihre Eliminierung und die Einsetzung eines kremlfreundlichen Regimes: „They are killing us.“ Das Ungleichgewicht der Kräfte ist evident. Nur aus eigener ukrainischer Kraft lässt sich ein russischer Vormarsch nicht stoppen. Die ersten feindlichen Truppen wurden bereits in den Vororten gesichtet. Eine „Allgemeine Mobilmachung“ wird angeordnet, alle Wehrpflichtigen und Reservisten werden zu den Waffen gerufen. Das Volk von Kiew muss sich auf eine Belagerung einstellen. Selenskyj erklärt, Kyjiw bis zum letzten Mann zu verteidigen. Nicht nur im Interesse der Ukraine – auch zur Verteidigung der freien westlichen Welt.

Krisenkommunikator Michailo Podoljak

Vielleicht hat Selenskyj damals auch einen Blick in die Bibel geworfen. In die Annalen der Geschichte Israels (2 Chr 32). Dort konnten sich seine PR-Berater informieren, wie ein bedrohtes Volk früher mit solch einem Problem umgegangen ist. Als Muster für eine PR-Strategie, die sie jetzt in ihrer Not benötigten:

Die Bibel berichtet von einem Feldzug, den Sanherib, der mächtige Herrscher des assyrischen Reiches, 702 v. Chr. gegen Israel unternommen hat. Sein Heer bestand aus assyrischen Soldaten, die bei den Kriegszügen des Königs zum Dienst mit der Waffe verpflichtet waren. Vorweg hatte dieser bereits erfolgreich einen Aufstand der versklavten Babylonier unterdrückt, anschließend rückten seine Truppen westwärts weiter. Die meisten kleineren Fürsten, die ihm dabei im Wege standen – wie etwa die von Moab und Edom – hatten sich schon unterworfen. Nur Askalon und Juda leisteten noch Widerstand. Im „Buch der Chronik“ klingt das so:

Und die Bibel hat doch recht!

„Er fiel in Juda ein, belagerte die festen Städte und gedachte, sie für sich zu erobern“. Doch Juda hatte damals einen wehrhaften König: „Als Hiskaja sah, dass Sanherib herankam und sich zum Krieg gegen Jerusalem anschickte, überlegte er mit seinen Obersten und Helden, ob man nicht die Wasserquellen außerhalb der Stadt verstopfen soll. Wozu sollen die Könige von Assur bei ihrer Ankunft reichlich Wasser finden? Sie unterstützten sein Vorhaben.“ Und so wurden die Verteidigungslinien befestigt, die Mauern und Türme verstärkt, „viele Schild und Wurfspieße angefertigt.“

Dann organisierte er sein Heer, „setzte Kriegsoberste über das Volk“ – und sprach seinen Truppen Mut zu: „Seid mutig und tapfer! Fürchtet euch nicht und erschreckt nicht vor dem König von Assur und dem großen Heer, das bei ihm ist; denn bei ihm sind Arme aus Fleisch, bei uns aber ist der Herr, unser Gott, der uns hilft und unsere Kriege führt.“

Sanherib – Beherrscher des assyrischen Reiches

Das ist der Stoff, aus dem auch heute Heldensagen gesponnen werden: Ein böser Feind – ein Ruf zu den Waffen – eine heroische Verteidigung. Putin statt Sanherib, Selenskyj statt Hiskaja. Was im PR-Programm letztlich noch benötigt wurde, waren sinnlose Aufforderungen zur Kapitulation und ein glorreicher Endsieg. Auch damit konnte die Bibel dienen:

Belagerung Jerusalems

„Sanherib sandte seine Diener nach Jerusalem zu Hiskaja und allen Judäern. Er ließ ihnen sagen: Hiskaja führt euch nur irre, um euch durch Hunger und Durst umkommen zu lassen. Wisst ihr nicht, was ich und meine Väter mit allen Völkern in anderen Ländern gemacht haben? Konnten denn die Götter der Völker in diesen Ländern ihr Land aus meiner Hand retten? Lasst Euch nicht von Hiskaja betören und euch nicht auf diese Weise irreführen! Glaubt ihm nicht!?“

Peter Paul Rubens: Ein Engel metzelt das assyrische Heer

Wie das Volk auf diese Botschaft reagierte, wissen wir nicht. „Doch König Hiskaja und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz, beteten in dieser Angelegenheit zum Herrn und riefen zum Himmel. Da sandte der Herr einen Engel, der alle Kriegshelden, Fürsten und Hauptleute des Königs Assur vernichteten. Sanherib musste, mit Schande bedeckt, in sein Land zurückkehren. Als er in den Tempel seines Gottes kam, machten ihn dort seine eigenen Söhne mit dem Schwert nieder.“

Multiple Launch Rocket System

Das passte genau in die Botschaft, die auch Selenskyj für die ganze Welt benötigte: Der Endsieg der Ukraine und der Sturz Putins. Sicher gibt es heute keinen Engel mehr, der ganz einfach ein komplettes gegnerisches Heer auslöscht. Aber schwere Waffen können durchaus so einen Engel ersetzen: Etwa 500 Panzer, 2000 gepanzerte Fahrzeuge, 1000 Haubitzen und 300 Mehrfachraketenwerfer vom US-Typ Multiple Launch Rocket System (MLRS). Das ist jene Hilfe, die Selenskyj zuletzt vom Herrn im Himmel erfleht hat. Denn: „Der Sieg muss auf dem Schlachtfeld errungen werden.“ So verkündete es uns nicht die Bibel, sondern Selenskyj am 7. Juni der „Financial Times“.

Hat die Bibel wirklich recht?

Die Story in der Bibel hat nur einen Haken: Sie stimmt so nicht. Archäologische Funde belegen das Gegenteil. Jerusalem wurde tatsächlich nicht erobert, Hiskaja hat sich nicht ergeben. Aber nach Sanheribs Sieg über Askalon wurde Hiskaja „gleich einem Vogel im Käfig in seiner Residenz Ursalimmu (Jerusalem) eingeschlossen“. Das Königreich Juda hatte letztlich eine schwere Niederlage erlitten. Als Beute schleppte der assyrische Tyrann 30 Talente Gold, und 300 Talente Silber aus Jerusalem nach Assyrien. Weite Teile Judas wurden auf Nachbarstaaten aufgeteilt, Teile der Bevölkerung deportiert. Juda wurde auf sein Kernland rund um Jerusalem reduziert. Hiskaja musste letztlich die Oberherrschaft Assyriens anerkennen und Tributzahlungen an Ninive leisten. Aber das ist eben die andere Story.

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Eine Antwort auf „PUTIN und der Engel von Kiew“

  1. Es ist immer wieder beängstigend, wie sehr sich Geschichte wiederholt – scheinbar lernen wir seit Jahrtausenden nichts dazu -Habgier ist wohl auch über viele Generationen „haltbar“ und immer wieder ein Motivator und eine Triebfeder für Kriege. Auf der Strecke bleiben immer die Kleinen, die die sowieso nichts entscheiden dürfen, oder können.

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