„Heiliger Zorn“ – dieser deutsche Titel ist eigentlich passender als das Original „The Darkening Age“, unter dem Catherine Nixey darlegt, „wie die frühen Christen die Antike zerstörten“. Denn bei der englischen Historikerin, die mehrere Jahre an der Cambridge University unterrichtete, merkt man, dass „heiliger Zorn“ ihre Feder geführt hat. Noch nie wurde einem Leser so kompakt vor Augen geführt, wie leicht kulturelle Errungenschaften durch Aberglauben und blinden religiösen Eifer zu zerstören sind.
Das gilt nicht nur für das Christentum. Deshalb spielt ihr „Prolog“ im Jahr 385 n.Chr. im syrischen Palmyra: Als marodierende Zeloten an einem einzigen Tag Tempel und Götterstatuen, die ein halbes Jahrtausend überdauert hatten, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten. „Götzenbilder“ wurden von bärtigen, schwarz gekleideten Fanatikern enthauptet, die Arme abgehackt, Dächer abgedeckt, Gräber geschändet. Die „Rechtgläubigen“ jubelten – der „Triumph“ des Christentums hatte begonnen. Ein Schauspiel, das sich im Jahr 2015 im Namen Allahs widerholte. (Worauf Nixey nicht extra hinzuweisen brauchte). Als Milizen des Islamischen Staates (IS) die Tempelmauern Palmyras sprengten, den früheren Chefarchäologen Khaled al-Assad – dem Hüter dieser heidnischen Stätte – köpften und den Leichnam als Abschreckung an einem Pfosten im ehemaligen Baal-Tempel aufhängten.
Nixey dokumentiert jene Zeit, als die Intoleranz des mosaischen Monotheismus durch jene des christlichen Monotheismus verdrängt wurde. Im gesamten römischen Imperium wütete dank kaiserlicher Macht der Gott des Alten Testaments. Er vernichtete jene geistige Vielfalt, die wir heute unter dem Begriff „Antike“ verklären. Die neun Musen der griechischen Mythologie wurden zum Teufelswerk, das einer gründlichen Vernichtung anheimfiel.
Das Forschungsziel der Historikerin waren die Auswirkungen und nicht die Ursachen dieser kulturellen Katastrophe. Dargestellt an plakativen Beispielen. Etwa der von Kaiser Konstantin („dem Großen“), Theodosius II. und zuletzt Valentinian III. (448 n.Chr.) befohlenen Verbrennung der Werke materialistischer Philosophen wie Lukrez, Kelsos oder Demokrit. Nach deren zentralen Überzeugung ist der jüdische Schöpfungsmythos der Bibel nicht nur unplausibel, sondern geradezu überflüssig: Alles, was man sehen und fühlen kann, besteht aus Zweierlei: Atomen und dem Raum dazwischen. Das Letztere schließt die Körper mit ein, in ihm ist alles in Bewegung. So entstand die Welt durch das Aufeindertreffen von Atomen, die sich miteinander verbanden. Für das bloße Auge unsichtbar und nicht weiter teilbar: a-tomos, unteilbar.
Diese Atomtheorie beseitigte die Notwendigkeit der Schöpfung, der Auferstehung, des Jüngsten Gerichts, der Hölle, des Himmels und eines einzigen Schöpfungsgottes. Sie beseitigt die große Angst der Sterblichen vor den göttlichen Wesen. Ein Aberglaube, der laut Plutarch als schreckliches Leiden „den Menschen demütigt und zermalmt“. Nach der Überzeugung des Kirchenvaters Augustinus führen die Werke des Philosophen Demokrit zur ewigen Verdammnis; daher durften dessen Schriften nicht überleben. „Ich denke oft, dass der Verlust von Demokrits gesamten Werk in der Geistesgeschichte die größte Katastrophe war, die den Untergang der antiken Zivilisation mit sich brachte“, zitiert Nixey den herausragenden italienischen Physiker Carlo Rovelli. Der derzeit an der Universität Marseille dem grundlegenden Problem der Rolle der Zeit in der Quantengravitation auf den Grund zu kommen trachtet.
Nicht besser als Demokrit ging es Galenos (gest. 210 n.Chr.), einem der bedeutendsten Ärzte der Antike. Mit seinen Vivisektionen erforschte er, wie der Körper funktioniert: „Die Anatomie eines Toten lehrt die Lage der Organe; die eines Lebenden lehrt die Funktion“, arbeitete er nach dem „modernen“ System der empirischen Forschung. Für Moses, die Christen und ihre Bücher, in denen diese unbewiesene Dinge schreiben, hatte er recht wenig übrig. Für ihn muss jeder seine Behauptung beweisen. Wer das nicht tat, verhielt sich für ihn wie ein Idiot. Wie ein Christ, der mit seiner Unwissenheit prahlt.
Eine Einschätzung, die auch der vom Kirchenvater Origines verteufelte Philosoph Kelsos schon 50 Jahre vor Galen zu Papier gebracht hatte. Für ihn war das Christentum keine Einrichtung für gebildete Römer, sondern eher für Frauen und vulgäre Ausländer aus weit entfernten Orten. Gefährlich wie Galen und Kelsos galten auch die Schriften des Philosophen Porphyros, der sich süffisant wunderte, warum der Gott der Christen so lange gewartet hat, die Menschheit zu erlösen. Trotz seines „Toleranzediktes“ (313 n.Chr.) hielt es Kaiser Konstantin für nötig, dessen „liederlichen Abhandlungen gegen die Religion“ dem Feuer zu überantworten.
Wie auch die Schriften des Arius (gest. 327 n.Chr.), eines christlichen Presbyters aus Lybien, der in Alexandria gelehrt hat und nach dem der Arianismus benannt ist. Seine Ansichten über die christliche Trinität aus Gott, Logs-Sohn und Heiligem Geist waren so gefährlich, dass auf den Besitz arianischer Werke die Todesstrafe stand.
Ein Gott zerstört alle Götter
Ein beliebtes Ziel aggressiver Christen waren weiters alle Tempel mit ihren Götterstatuen. Nixey zeigt, dass die christliche Zerstörungswut jener des Islamischen Staates durchaus ebenbürtig war. Ein besonders beeindruckendes Beispiel war die Zerstörung des Serapions Tempels in Alexandria – nach dem Kapitol von Rom eines der prächtigsten Gebäude des Erdkreises. Bis ihn eine Horde fanatischer Christen unter der Führung des Theophilos, dem Bischof von Alexandria 392 n.Chr. in Schutt und Asche legte. Auf dessen Geheiß zerschmetterte unter Freudengejohle ein Soldat Serapis Gesicht mit einer doppelköpfigen Axt.
Maternus Cynegius, ein unter Theodosius I. 384 n. Chr. ernannter Prätorianer Präfekt des Orients, reiste mit dem kaiserlichen Auftrag, alle nichtchristlichen Tempel in Ägypten, Griechenland und Kleinasien zu zerstören. Der Artemis-Tempel von Edessa, der Zeus-Belos Tempel in Apamea, der Athena-Tempel in Palmyra, der Lunar-Tempel in Carrhae und der des Lichtgottes Apoll in Didyma fielen christlicher Säuberung zum Opfer. Ein Muster, nach dem Jahrhunderte später die Synagogen im Dritten Reich zerstört wurden.
Bilder furchtbarster Agression, für die Bischof Marcellus von Apamea heiliggesprochen wurde. Seinen Glaubenseifer hat Theodoret von Cyrus (gest. 466 n.Chr.) im 5. Buch seiner „Historia Ecclesiastica“ überliefert: „Zuerst nun unter allen Bischöfen begann der ganz ausgezeichnete Marcellus auf Grund des Gesetzes in der von ihm regierten Stadt die heidnischen Tempel zu zerstören. Dabei bediente er sich mehr des Vertrauens auf Gott als der Kraft vieler Hände.“ Als der Präfekt Cynegius mit seinen Soldaten bei seinem Zerstörungseifer am soliden Mauerwerk des Jupitertempels scheiterte, ließ er ihn weiterziehen. Er betete, mit Gottes Hilfe alle Säulen des Tempels zum Einsturz zu bringen. Was teuflische Dämonen zu hindern trachteten. Doch ohne Erfolg, der Heilige blieb Sieger: „Das Getöse erfüllte die ganze Stadt, denn es war groß, und lockte alle zu dem Schauspiel herbei. Als sie vollends von der Flucht des feindlichen Dämons erfuhren, erhoben sie ihre Stimme zum Preise des Gottes aller Dinge. In dieser Weise zerstörte jener heilige Bischof auch die übrigen Götzentempel.“
Nicht nur bei nahöstlichen Eiferern, auch in den näheren Gefilden gab es diesen Wahn. So verweist Nixey auf den in Sabaria (Stuhlweißenburg) geborenen Heiligen Martinus, der laut seinem Biographen Sulpicius Severus (gest. 425 n.Chr.) einen derartigen Götzentempel zerstören wollte. Als ihn die Heiden daran hinderten, zog er sich zurück und flehte Gott um Hilfe. Der schickte ihm zwei Engel, deren Speer und Schild die Ungläubigen erstarren ließen. „Er zertrümmerte das Götzenhaus bis in die Fundamente hinein und zerschlägt die Bilder und Altäre zu Staub“ (Das Leben des hl. Martin 15.6).
Der ursprüngliche Jesus hat im Grunde einen Buddhismus ohne Buddha gepredigt. Eine Ethik und keine Religion. Die dem Menschen mehr hilft als jener Monotheismus, den judenchristliche Fanatiker aus der Thora ins Christentum hineingetragen haben. Die zu jenen Zerstörungen führte, die Nixey näher beleuchtet hat. Auffallend ist dabei, dass es so einen militanten Monotheismus in den ersten hundert Jahren nach Jesus Tod noch nicht gegeben hat. Da dieser so etwas nie gepredigt hat. Dessen ursprünglicher Lehre geht das Buch „Jesus trifft Buddha“ auf den Grund, das ich in absehbarerer Zeit beim Verlag Frank & Timme herausgeben werde.
Nixey war von Haus klar, dass ihre Historie christlicher Zerstörungen nicht nur Applaus, sondern auch Kritiker auf den Plan rufen wird. Wie etwa Averil Cameron, eine der Herausgeberinnen der „Cambridge Ancient History“, die von Königin Elisabeth II. in den persönlichen Adelsstand erhoben wurde. Die in ihrem katholischen Wochenblatt „The Tablet“ zur Verteidigung des Christentums ausrückte. Die das Werk ihrer Kollegin als „an overstated and unbalanced counterblast“ abkanzelte. Sie mit Edward Gibbon vergleicht, der in seiner sechsbändigen „History“ dem aufkommenden Christentum die Hauptschuld am Untergang des römischen Reiches (1776 – 1789) gibt. Doch Nixeys Buch ist nicht nur spannend zu lesen – es ist auch enorm gut dokumentiert. Anmerkungen, Literaturnachweise und Register umfassen volle 50 Seiten – und sind eine enorme Hilfe für all jene, die diesem Thema auch in Zukunft mehr Aufmerksamkeit widmen möchten.