Derzeit entsetzen sich Politiker unterschiedlicher Couleur über die Ausschreitungen im sächsischen Chemnitz. Eine Stadt, die in „den Asylanten“ einen Sündenbock für die herbei „gemerkelte“ politische Misere gefunden hat. Doch es gehört zur uralten Tradition vieler Völker , die Schuld eines „Volkes“ auf einen Sündenbock abzuwälzen.
Jom Kippur
Schon im Alten Testament (3. Buch Moses 16ff) wird dieser religiöse Brauch der Israeliten ausführlich beschrieben. Noch heute wird er am Jom Kippur – heuer am 18. Und 19. September – als höchster jüdischer Festtag (Versöhnungstag) gefeiert: „…so soll er den lebendigen Bock herzubringen.
Dann soll Aaron seine beiden Hände auf dessen Kopf legen und über ihm bekennen alle Missetat der Israeliten und alle ihre Übertretungen, mit denen sie sich versündigt haben, und soll sie dem Bock auf den Kopf legen und ihn durch einen Mann, der bereitsteht, in die Wüste bringen lassen, dass also der Bock alle ihre Missetat auf sich nehme und in die Wildnis trage; und man schicke ihn in die Wüste.“
Dieses Brauchtum war nicht überall so tierisch-harmlos. So wurden in der japanischen Provinz Owari gefangene Fremde oder Verbrecher zum Sündenbock gemacht. Denen wurde im Tempel – nach einer Reinigungszeremonie – ein Opferkuchen (Mochi) umgebunden. Dann wurden sie aus dem Tempel gejagt und bis zur Erschöpfung verfolgt.
Auch die alten Griechen brauchten einen Sündenbock. Dies insbesondere, wenn Seuchen eine Stadt heimsuchten. Dafür wurden einem Mann ein Kranz schwarzer Feigen und einer Frau einer mit weißen Feigen umgehängt. Dann wurden sie durch die ganze Stadt geschleppt, um alles Unreine an sich zu ziehen. Schließlich führte man sie aus der Stadt, steinigte und verbrannte sie. Ihre Asche wurde in das Meer und in den Wind verstreut.
Chemnitz zeigt:
Der Bedarf und der Glaube an einen Sündenbock haben nicht nur in der Religion Jahrtausende überdauert. Ein archaischer Glaube, der nicht mit heuchlerischen Politikerreden oder Polizeieinsatz, sondern nur durch Aufklärung – im Sinne Voltaires – zu beseitigen ist.
Lieber Knöbl
… und wenn sich ein Paar fände, bereit mit Feigenkranz durch die Stadt ( die Städte) zu ziehen, bereit sich zu opfern und den Feuertod zu sterben? Wer unterstützte sie dabei, die schwere Bürde zu tragen?
Allüberall so viel – viel zu viel des „Unreinen“ in den Gedanken der Ewig-Gestrigen, mit ihrer Angst vor dem Verlust von Pfründen, vor Fremd und Farbe und anderer Kultur.
Ein spannender Beitrag! Bitte mehr davon.