Jesus wurde zu Ostern ans Kreuz genagelt. So steht es in der Bibel. Wer daran schuld war wissen wir nicht. Manche Legenden gehen jedoch davon aus, dass Jesus seine Hinrichtung überlebt hat. Bereits 1981 schildert der Religionspädagogiker Holger Kersten, wie der nach der Kreuzigung gesundete Jesus nach Kaschmir geflohen sei. Als geachteter Prediger wurde er hundertjährig in Srinagar beigesetzt. 2019 erläutert der Geschichtsprofessor Johannes Fried in „Kein Tod auf Golgatha“, wie das medizinisch möglich war.
Die frühen Judenchristen hatten keine derart erbaulichen Erzählungen zur Hand. Sie griffen bei ihren Erzählungen auf die ihnen geläufige Thora zurück. Auf Moses, der in seiner Genesis Erzählung zu Beginn der Schöpfung Gott als Geist über dem Wasser einer Urflut schweben ließ. Der Geist Gottes, den der Evangelist Johannes einige Generationen später bei Jesus Taufe als schwebende Taube wahrgenommen hat.
Jener Geist, der als Pfingstereignis in der Apostelgeschichte neuerlich in Erscheinung tritt. Als Brausen vom Himmel, „als ob ein heftiger Sturm daher fährt.“ Der Heilige Geist mutiert zum Tröster der Apostel. Weil der tote Jesus doch nicht so rasch zurückgekehrt ist, wie dies angesichts seines leeren Grabes zu erwarten war. Jener Geist Gottes, dem der deutsche Theologen Jörg Lauster jüngst eine umfangreiche Biografie gewidmet hat.
Doch Lauster übersieht in seiner Wind- und Taubenbiographie, dass auch die Genesis mit dem schwebenden Geist bloß eine viel ältere Erzählung neu verpackt hat. Sie handelt von einem Schöpfungsmythus, der 3.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung zurückreicht und 700 Jahre vor dem Johannesevangelium in Stein gemeißelt wurde. Von Shabaka, einem lybischen König, der Ägypten eroberte und diese Legende angeblich auf einem uralten Papyrus in einem Ptha-Tempel im Memphis entdeckt hat. Der diese Geschichte vielleicht selbst erfunden hat, um seiner Herrschaft über Ägypten ein religiöses Mäntelchen umzuhängen.
Wie ein Götterhimmel entsteht
Der sogenannte Shabaka-Stein, der im ägyptischen Museum in London zu besichtigen ist, überliefert uns die Schöpfung der ägyptischen Götter THOT und PTAH. Auf diesem Stein steht geschrieben, wie jene Urgottheit, die schon existierte, bevor alles andere existierte, sich selbst erschuf. Der Mythos ist interessant, weil dieser Weltschöpfer „seine Ideen im Herzen empfing, mit seinem Verstand abwog und dann erst aussprach. Als die Worte von seiner Zunge kamen, verwandelten sie sich in physische Körper…“ Dieser Ptah, der den präexistenten Urzustand personifiziert, schuf dann jene Götterfamilie, die nach der heliopolitanischen Theologie mit ihrem Schöpfergott ATUM und seinen Demiurgen bisher den altägyptischen Himmel bevölkerte. Mit dieser memphitischen Theologie versucht Shabaka die bisherige zu überbieten, indem er sie ergänzt und den Götter-Stammbaum erweitert: Er inthronisiert Ptah und seine Götter vor Atum als erste himmlische Schöpfer- beziehungsweise Herrschergeneration.
Das ist der älteste bekannte Bericht über eine Schöpfung durch den Logos, das gesprochene Wort. Geist und Materie wurden zu dieser Zeit noch nicht als getrennt wahrgenommen. Es klingt ganz wie der erste Satz des Johannes-Evangeliums: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ Im Grunde altindisches Gedankengut, das die jüdische Elite in ihrem Exil in Babylon kennen lernte. Die von ihren Schriftgelehrten geführten Diskussionen lieferten die Grundlage für den im 6. Jahrhundert n. Chr. verfassten babylonischen Talmud. Wodurch der babylonische Geist Gottes in der jüdischen Genesis zum rauschenden Flügelschlag wurde. Die frühen judenchristlichen Legenden ließen ihn am Jordan zur Taube mutieren, um ihn letztlich zu Pfingsten wie Feuerzungen über den Jesus Jüngern schweben zu lassen. Eine Historie, an die sich gute Christen bei der Dreifaltigkeit ihres Gottes stets erinnern sollten.
Wie kam es zur weiteren Annahmen, dass Jesus nach Südfrankreich zog, dort mit Maria Magdalena mehrere Kinder hatte…. Gralsgeschichte?
In den ersten beiden frühchristlichen Jahrhunderten entstanden Dutzende von Jesus Legenden. Etwa das Protoevangelium des Jakobus, das Kindheitsevangelium des Thomas, das Geheime Markusevangelium, das Petrusevangelium, das Nikodemusevangelium, das Judasevangelium, etc.Der Phantasie gläubiger Menschen sind keine Grenzen gesetzt. Weshalb sollte da Jesus nicht nach Lyon gekommen sein, wo der Kirchenvater Irenes, ein gebürtiger Smyrner, als Bischof von Lugundum im Jahr 135 gestorben ist.