Was haben „fridays for future“-Demonstrationen auf der Ringstraße, Fußballmatchs im Happel-Stadion und Gottesdienste in den Kirchen gemeinsam? Sie fördern den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Teilnehmer. Was ist dafür das biologisch ausschlaggebende Element? Welcher Mechanismus bewirkt das? Ein interdisziplinäres Forschungsprojekt unter der Federführung der Universitäten Oxford und Coventry hat dazu erstmals konkrete Ergebnisse geliefert. Es sind die Endorphine, die der Körper bei bestimmten Gelegenheiten ausschüttet. Das sind körpereigene Stoffe, die Euphorie auslösen, Schmerzen lindern und dafür sorgen, dass Menschen sich miteinander verbunden fühlen.
Einsamkeit
Die letzte Ostermesse von Papst Franziskus vor dem leeren Domplatz in Rom und die TV-Übertragung der Christ-Mette aus dem Stift Rein. Das waren gut gemachte Events. Allerdings wirkten sie eigenartig kalt. Man spürte – es fehlt ihnen irgend etwas. Ein Skirennen am Semmering oder auf der Kitzbüheler Streif ohne begeisterte Ski-Fans; ein Formel I-Rennen vor leeren Rängen oder ein Ländermatch ohne jubelnde Zuschauermassen. All das wirkt irgendwie künstlich, gespenstisch. Wie fühlt sich ein Musiker beim Neujahrskonzert in einem leeren Musikvereinsaal? Wie bei einer Demo, die ruhig und einsam durch leere Straßen zieht. Man sieht und spürt bei alldem – die Emotion gehen uns ab.
Corona-Beschränkungen
Die bald einjähriger Corona-Pandemie hat viele zu Home-Workern gemacht. Mit Videokonferenzen, bei denen jeder merkt: Es fehlt das persönliche Element. Kinder, die sonst gar nicht so gerne in die Schule gehen, freuen sich auf das Ende des Home-Learnings, auf das Öffnen der Schulen. Den Mitarbeitern in den Büros geht plötzlich das Büroleben ab. Wir brauchen persönliche Kontakte. Denn der Mensch – laut frommer Selbstüberschätzung die Krone der Schöpfung – ist ein Rudeltier. Welche biologischen Entwicklungen haben uns im Laufe der Evolution dazu gemacht? Bei der Beantwortung dieser Frage waren wir bisher nur auf Vermutungen und Thesen der Psychologen angewiesen. Deren Ergebnisse stehen aus der Sicht der Naturwissenschaftler auf recht wackeligen Beinen. Deshalb sind nun die Biochemiker ausgerückt, um zu überprüfbaren Forschungsergebnissen zu kommen.
An einer im Oktober 2020 veröffentlichten Studie haben prominente Autoren mitgewirkt: Die englische Neuropsychologin Sarah Charles; der portugiesisch-brasilianische Verhaltensforscher Miguel Farias; die neuseeländische Anthropologin Valerie van Mulukom und die indische Hindu-Priesterin, Sanskrit-Übersetzerin und Yoga-Expertin Ambikananda Saraswati. Dieses transkontinentale Forschungsteam hat entsprechende Versuche und Feldstudien an einer Yoga-Gruppe in England und einer Gruppe von Umbanda-Gläubigen in Brasilien durchgeführt. Diese ist eine der einflussreichsten Religionen Südamerikas.
Diese mystisch-spirituelle Religion hat ihre afro-brasilianischen Wurzeln bei den Bantu-Sklaven, kombiniert mit einem christlich-katholischen Spiritualismus. Göttliche Opferzeremonien mit Blumenspenden an die Meergöttin Iemanjá – dargestellt als Meerjungfrau – entsprechen der Verehrung der Jungfrau Maria. Die dezentral organisierten Kirchen konzentrieren sich in ihrer brasilianischen Form auf die heilenden Aspekte ihrer Religion und auf die psychotherapeutische Betreuung. Im Vordergrund stehen eine neue Menschlichkeit, Gesundungsprozesse und Problemlösungen emotionaler und sozialer Art.
Lachen lindert die Schmerzen
Die Forscher wussten aus früheren Studien: Lachen verringert das Schmerzempfinden. Das echte, unwillkürliche Lachen führt zu Endorphin Ausschüttungen. Das gibt es nur bei Menschen, meist als Gruppenerlebnis. Affen lachen auch, aber ganz anders: Sie atmen dabei im Wechsel ein und aus. Menschen stoßen ihren Atem beim Lachen mehrmals hintereinander aus, ohne einzuatmen. So geraten sie in Atemnot. Das veranlasst das Gehirn, körpereigene Opioide, die Endorphine, freizusetzen. Diese können sowohl Glücksgefühle auslösen als auch das Schmerzempfinden dämpfen. Daher könnte das Lachen in der Evolution eine ähnlich wichtige Rolle für das Leben in der Gemeinschaft gespielt haben wie Tanz, Musik und religiöse Zeremonien.
So suchten die Wissenschaftler Gruppierungen mit einem derartigen Gemeinschaftsverhalten. Die ersten Freiwilligen fanden sie in einer englischen Yogagruppe. Deren Training umfasste sowohl Körperübungen als auch spirituelle Komponenten. Von den neun Teilnehmerinnen erhielten vier kurz vor der Übungsstunde eine Dosis Naltrexon. Die restlichen bekamen ein Placebo.
Naltrexon ist ein synthetisches Opioid ohne opioide Eigenschaften. Es macht daher nicht suchtanfällig. Es wird unterstützend zur Rückfallsprophylaxe nach einem Opioidentzug und bei Alkoholabhängigen eingesetzt. Diese Opioide werden vom Körper auch selbst – somit endogen – produziert. Der Körper nützt sie zur Unterdrückung von Schmerz und Stressreaktionen. Naltrexon als von außen zugeführtes – extrogenes – Opioid dockt bei den Opioid Rezeptoren an der Oberfläche von Nervenzellen an, die es am häufigsten im Gehirn und im Rückenmark gibt. Es entfaltet seine Wirkung somit im Zentralnervensystem.
Yoga-Kurse und Zen-Medidation
Alle Yoga-Schülerinnen bekamen vor und nach der Yoga-Stunde einen Fragebogen. Der gab in einer Skala von 1 bis 7 Aufschluss, wie stark sie sich mit den anderen Gruppenmitgliedern verbunden fühlen. Dabei zeigte sich, dass die Frauen aus der Placebo-Gruppe nach dem Training durchwegs hohe Verbundenheitswerte angaben. Die Naltrexon-Gruppe hatte sogar geringere Werte als vorher. Es handelt sich um eine biochemische Reaktion unseres Körpers, die maßgeblich zur Entwicklung unseres Sozialsystems beigetragen hat. Als Folge einer Millionen Jahre dauernden Evolution der menschlichen Spezies von Alesi, dem Uraffen zum kontaktheischenden Menschen der Jetztzeit.
Dieser Versuch wurde auf breiterer Basis in Sao Paulo wiederholt. Von 24 Personen (16 Frauen und 8 Männer) bekamen 11 Naltrexon, der Rest Placebos. Getestet wurde die Wirkung eines zweistündigen Umbanda-Rituals – mit dem gleichen Ergebnis wie zuvor in England. Eine Studie, die erstmals eine chemische Grundlage zum Verständnis sozialer und religiöser Bindungen bei religiösen, spirituellen oder anderen emotionalen Ritualen liefert. Die wissenschaftlich nachvollziehbar belegt, warum Events am Bildschirm nie jene Wirkungen entfalten können wie ein persönliches Gruppenerlebnis.
Auch Jesus kannte die Wirkung seiner öffentlichen Auftritte. Seine Seerede und die Bergpredigt geben davon eindrucksvolle Beispiele. Mehr dazu findet sich in meinem Buch JESUS trifft BUDDHA. Eine Philosophie, aus der Paulus – der ihn nie gesehen hat – eine Religion gezimmert hat. Die von seinen Epigonen zu einer Kirche ausgebaut wurde.