Der 6. Dezember ist nicht nur mein Geburtstag, sondern auch das Fest des heiligen Nicolaos.
(Obwohl mir gelegentlich vorgeworfen wird, dass ich kein Nikolo sondern eher ein Krampus sei.) JenerSankt Nikolaus, der möglicherweise am 6. Dezember 326 gestorben ist und als Bischof von Myra (heute: Demre) im römischen Reich das frühe Christentum propagierte. Dem neben zahlreichen Wundern und Totenerweckungen auch spektakuläre Wohltaten nachgesagt werden.
Bis heute ist er der weltweit populärste Heilige: Er wurde Schutzpatron
der Russen, Kroaten und Serben, zahlreicher Regionen, Städte und Berufe – u.a. der Seefahrer, Kaufleute und Rechtsanwälte.
Doch es gibt einen anderen – wenig erfreulichen – Anknüpfungspunkt zur Gegenwart: Die Christenverfolgung. Denn Nikolaus soll wegen seines christlichen Glaubens in jungen Jahren unter Kaiser Diokletian verfolgt und gefoltert worden sein.
Das ist durchaus möglich, denn die anatolische Mittelmeerküste war das Kernland des frühen Christentums – das sich trotz des Islams dort bis zum Ende des Osmanischen Reiches gehalten hat. Erst dann war damit Schluss.
Pech für die Türken
Denn die „Türken“ hatten das Pech, im Ersten Weltkrieg als Bündnispartner von Österreich und Deutschland auf der Verliererseite zu stehen. Das noch junge griechische Königreich – es konnte sich erst 1830 von der osmanischen Vorherrschaft befreien – hatte sich noch rechtzeitig Mitte 1917 der Entente angeschlossen. Auf Grund des Versprechens der späteren Sieger, dafür zur Wiedergeburt eines großen nationalen Königsreichs mit den „griechischen“ Teilen Kleinasiens, einschließlich einiger Inseln sowie Istanbul und Smyrna (Izmir) belohnt zu werden.
England und Frankreich hatten nämlich bereits während des Kriegs überlegt, wie sie den aufkeimenden Nationalismus im Krieg nutzen und danach das Osmanische Reich in mehrere neue – der Entente nahestehende – Nationalstaaten aufteilen können. Ähnliche Versprechen auf selbständige Staatsgründungen wurden deshalb den Armeniern und Kurden des Osmanenreiches gemacht. Damit war mit dem Ende des Weltkriegs bereits der Grundstein für den daran anschließenden griechisch-türkischen Krieg gelegt. Den Griechen wurden die zugesagten Gebiete „zur Verwaltung“ überlassen, Konstantinopel und Smyrna
in eine britische, französische und italienische Besatzungszone aufgeteilt. Mit der Zusage der Entente, dass die von der Hohen Pforte befreiten Völker nach fünf Jahren selbst mittels Volksabstimmungen „demokratisch“ über ihre Zukunft bestimmen dürfen.
Doch es kam alles anders als geplant. Auch bei den Verlierern gab es nationale Strömungen, die das Ende der Türkei so nicht akzeptieren wollten.
Aus den Aufständen gegen die Besatzer wurde ein regelrechter Krieg. Die den christlichen Armeniern vorgeworfene Unterstützung des russischen Feindes wurde in Kombination mit dem Vordringen griechisch-orthodoxer Truppen von den „Jungtürken“ als Bedrohung des ihnen vorschwebenden neuen türkischen Reiches gesehen. Die ursprünglich erfolgreichen Griechen wurden vom neuen Führer Mustafa Kemal Atatürk, dem Vater der modernen Türkei, 1923 vernichtend geschlagen wurden.
Pech für die Griechen
Schon im September 1922 wurden bei der Eroberung von Smyrna 40.000 Armenier und Griechen umgebracht. Dem folgte die erste große „Umvolkung“ des 20. Jahrhunderts: Der Zwangsaussiedlung von 1,25 Millionen „Griechen“ in Richtung Westen stand jene von 500.000 „Türken“ in die neue Türkei gegenüber. Wobei die Unterscheidung in „Griechen“ und „Türken“ nicht nach ethnischer Abstammung, sondern nur nach Religionszugehörigkeit erfolgte.
Das mehrheitlich christlich bewohnte Konstantinopel wurde zum neuen Istanbul, in dem nur noch eine ganz kleine christliche Gemeinde zu finden ist. Die christlichen Hochburgen der Spätantike verwandelten sich in anatolsche Sehenswürdigkeiten. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs gibt es keine Völker mehr, sondern nur noch Staaten. Es gibt auch keine Völkergemeinschaft, sondern nur eine Staatengemeinschaft. Daher gibt es auch keine „Umvolkung“ mehr. Die Zuordnung erfolgt nach Religionsgemeinschaften. Verfolgungen resultieren nicht mehr aus einer Stammes- oder Rassenzugehörigkeit, sondern auf Grund unterschiedlicher religiöser Überzeugungen.
Pech für Nikolaus
49 Mitgliedsländer der UNO haben eine muslimische Bevölkerungsmehrheit. In vielen gilt die Scharia als Zivilrecht, in manchen auch als Strafrecht. Dort steht auf Blasphemie die Todesstrafe.
Wie vor 500 Jahren in Europa, als es keine Trennung von Staat und Kirche gab. Heute – wie in den Jugendjahren des Priesters Nicolaos – sind es vor allem Christen, die da verfolgt werden. Was einem an seinem Todestag nachdenklich stimmen sollte.